Monatsbrief Beispiel

Liebe Freunde,
für mich begann der Juli gleich mit einem Paukenschlag: meinem zweiten Besuch bei den Dreharbeiten in Prag. Vereinbart war, daß ich den ersten Drehtag am Belvedere, der Sommerresidenz neben den Hradschin, miterleben sollte. Da ich bereits am Nachmittag vorher in Prag eintraf, spazierte ich durch die schöne Stadt, stieg den Hradschin hoch, und stutzte, denn vor dem Schwarzenberg-Palais waren Marktstände aufgebaut, komplett mit Früchten und (falschen) Fischen, und einer Pferdekutsche im Renaissance-Stil, während eine Menge Sand ausgestreut worden war, um den modernen Teer zu verbergen. Das sah doch verdächtig nach Filmset aus!  Und richtig, da lief, mit buntem Hemd und Strohhut, Rainer Kaufmann herum und Herbert Knaup nahm mich sogar mit in das Palais.

Wie sich herausstellte,  wurden in der Tat auch ein paar Außenaufnahmen hier gedreht; der Schwarzenberg-Palais wurde zur Residenz von Kardinal della Rovere umfunktioniert, genau, wie der Belvedere am folgenden Tag zur Villa von Lorenzo de‘ Medici werden sollte.  Im Gegensatz zum Belvedere war es allerdings nicht möglich, den Platz vor dem Hradschin – Prags Haupttouristenattraktion! – abzusperren, und so schauten ständig Neugierige vorbei.

„Was drehen die da?“ fragte mich eine andere deutsche Touristin.

„Einen historischen Zweiteiler, für die ARD“, entgegnete ich unschuldig.  „Die Verfilmung des Romans ‚Die Puppenspieler‘.“

„Den hat aber doch die Kinkel geschrieben, oder?“

Gleich schlug das Autorinnenherz höher. Ich nickte bestätigend. Die Touristin schaute wieder zu den Dreharbeiten und erkannte Herbert Knaup in seinem Jakob-Fugger-Kostüm.

„Mensch“, sagte sie zu ihrem Mann, „der Kluftinger dreht einen historischen Film!“

Durch die Hitzewelle, die mit dem Juli begann, herrschten wahrhaft italienische Temperaturen, und der arme Herbert Knaup zerfloß unter seinem Fuggerpelz beinahe. Aber er fächelte zwischen den Takes nicht nur sich, sondern auch dem Pferd vor Cardinal della Roveres Kutsche zu.

Die Dreharbeiten am nächsten Tag am Belvedere fanden in einer Gartenumgebung statt, was auch schöne Schattenplätze bedeutete, vor allem für Zuschauer wie mich und die Camera-Crew. Die Schauspieler und Statisten mußten in ihren prächtigen Renaissance-Kostümen dagegen im prallen Sonnenschein arbeiten. Ein Wort zu den Kostümen: sie waren hinreißend, und zwar nicht nur für die Hauptdarsteller, sondern auch für den kleinsten Statisten. Unglaublich liebevolle Details waren überhaupt das Motto; als es zu der großen Gastmahlsszene kam, stellte ich fest, daß die Gabeln nicht etwa moderne Gabeln, sondern zumeist zweizackige Renaissance-Gabeln waren. Und die Farbkombinationen, so nicht ohnehin von der Historie vorgeschrieben – Kardinäle trugen natürlich Rot! – , waren schön auf die jeweiligen Darsteller abgestimmt: so trug Samuel Schneider, der Richard spielt, eine blaue Weste, die perfekt zu seinen Augen paßte.

Ich kam aus dem Fotografieren gar nicht mehr heraus, wenn ich mich nicht mit dem Team und den Schauspielern unterhielt. Ein paar der Bilder findet ihr hier:

https://www.facebook.com/media/set/?set=a.712134345561547.1073741849.492367257538258&type=3

 

Die Schauspieler trugen ihre sauna-ähnliche Existenz mit Humor. Samuel Schneider sagte mir, das sei ihm immer noch lieber als das Gegenteil, in der Kälte zu filmen und dabei so tun zu müssen, als sei es warm, während einem langsam die Fingerspitzen erstarben. Herbert Knaup trug ein kaltes nasses Ledertuch auf dem Kopf, wenn er nicht seine Pelzkappe tragen mußte, und scherzte mit den übrigen Darstellern. Mir fiel auf, daß er auch jenseits der Kamera eine sehr starke, unterstützende Beziehung zu Samuel/Richard zu haben schien. Als später Cesare Borgia (Edin Hasanovic)  dazu kam, und ebenfalls Schulterklopfen und Aufmunterung erntete, entschied ich, daß Herbert Knaup die Vaterfigur des gesamten Teams sein mußte.

Schwer beeindruckt war ich auch davon, daß Helen Woigk Saviyas Tanz vor Cesare Borgia bei dem Gastmahl der Medici nicht etwa einer Stuntfrau überließ, sondern selbst tanzte.  Samuel Schneider erzählte mir, daß sie wochenlang dafür geübt habe, und ich lernte ihre Trainerin kennen, die vorsichtshalber am Set mit dabei war.  Da die Tanzsequenz das Jonglieren mit Fackeln einschloß, wurde erst ein paarmal ohne Feuer geprobt, was schon eindrucksvoll genug aussah, und dann vielleicht sieben Mal hintereinander getanzt – eine tolle athletische Leistung, die in der Dämmerung und im Licht der Fackeln so magisch anziehend wirkte, wie ich mir das beim Schreiben vorgestellt hatte. Und Richards Blick, während er Cesare und Saviya beobachtete, sagte wirklich alles.

Während ich sonst nur am Rand herumflatterte, konnte ich mich einmal nützlich machen, als es um einen Wortwechsel zwischen Eberding und Richard ging.  Die Dialogzeile im Drehbuch „Hier hast du eine Adresse in Venedig“ wurde nämlich (zurecht) als anachronistisch erkannt.

„Geh zum Fondaco dei Tedesci in Venedig“, schlug ich vor. (Was übrigens das ist, was Richard im Roman tut, ähem.)  Und fügte erläuternd hinzu, daß zu Puppenspieler-Zeiten ohnehin alle deutschen Kaufleute sich dort einfanden. „Als ich zur Recherche dort war, war es zur Hauptpoststelle geworden.“

Das Fondaco dei Tedesci wurde wieder in den Filmdialog reinstalliert.

Befangen fühlte ich mich nur einmal, als mir Ulrich Matthes alias Rodrigo Borgia über den Weg lief, aber zum Glück stellte er sich als so umgänglich und aufgeräumt wie der Rest der Schauspieler heraus, was mir meine Fan-Scheu nahm.

Nach diesem Beginn hatte es der Rest des Julis schwer, doch er gab mir genug zu tun, um nicht in Dreharbeiten-Schwelgereien zu versinken.  Das vierteljährliche Treffen mit meinen PEN-Präsidiums-Kollegen fand diesmal in Bamberg statt, um die Vollversammlung nächstes Jahr dort vorzubereiten. Es war mir eine Freude, ihnen meine Heimatstadt zu zeigen.  Zwar hielt die Hitzewelle an, und das fränkische Rom strahlte wahrhaft römische Temperaturen aus, aber ich kann stolz vermelden, daß es die nördlichen Autoren nicht abhielt, mit mir über die Bamberger Pflastersteine zu wandern, Hügel auf, Hügel herunter. Nur im Dom kam es zu einem kleinen Zwischenfall.

Als ich mitten in meinen Erläuterungen zum Grab Heinrichs und Kunigundes von Tilman Riemanschneider war, kam ein Herr von der Domaufsicht auf mich zu.

„Darf ich Sie fragen, ob Sie Ihre Führung hier angemeldet haben?“ fragte er unheilverkündend.

Ich erklärte kurz den Sachverhalt und schwor, nichts an der Führung zu verdienen, sondern nur meinen Kollegen den Dom zeigen zu wollen.

(Was ich übrigens schon oft bei Freunden getan hatte, nur eben nicht gleich mit deren zehn.)

„Wenn Sie hier mit einer Gruppe herein kommen, müssen Sie sich aber anmelden.“

Mir fiel verspätet ein, daß ich erst neulich gebeten worden war, Schutzpatronin der Museen rund um den Dom zu werden, von Frau Kastner, der Chefin dieser Museen, deren Namen ich sofort heraufbeschwor.

„Ja, Frau Kastner kenne ich schon, aber ich kenne Sie nicht.“

Unser PEN-Präsident, Josef Haslinger, versicherte ihm, daß ich als Bamberger Autorin für die Stadt Ehre einlegen würde.  Daraufhin erklärte der grimmige Herr von der Verwaltung, für diesmal möge es angehen, aber bei ZUKÜNFTIGEN Aufenthalten im Dom mit Erklärungen für mehr als zwei Personen solle ich mich doch bitte vorher anmelden.

Oh Bürokratie, du bist wahrhaft immer und überall.

Mein drittes Juli-Highlight fand in München statt: das Lion-Feuchtwanger-Symposium. Zu nicht nur meiner höchst angenehmen Überraschung war die Nachfrage so stark, daß leider nicht alle Interessenten teilnehmen durften, denn der Veranstaltungsort, das historische Kolleg in der Kaulbachstraße, war denkmalgeschützt und hatte die Auflage, nicht mehr als 99 Personen in die Bibliothek zu lassen. Deswegen beschwor Organisator und Moderator Andreas Heusler auch die Teilnehmer, daß sie, sollten sie nur vormittags und nicht nachmittags kommen wollten, dies doch bitte den studentischen Hilfskräften mitteilen sollten, damit andere Feuchtwangerianer, die auf den Wartelisten standen, wenigstens an einem Teil der Tagung teilnehmen könnten.

Soweit ich das überblicken konnte, blieben jedoch alle 99. Eine Feuchtwanger-Tagung in Lions Heimatstadt hatte lange genug auf sich warten lassen müssen, aber gerade in diesem Jahr war Feuchtwanger-Stimmung gegeben, nach der sehr populären „Erfolg“-Ausstellung im Literaturhaus.  Zwei der Vortragenden waren sogar aus Amerika gekommen: es handelte sich um Michaela Ullmann und Marje Schütze-Coburn von der Feuchtwanger Memorial Library, zwei liebe Freundinnen, seit ich seinerzeit für meine Dissertation und meinen Roman „Unter dem Zwillingsstern“ in Los Angeles recherchierte.

Uns war allen eine Vortragslimit von 20 bis 25 Minuten gegeben worden, damit zu jedem Vortrag noch eine Diskussion stattfinden konnte, und ich hatte Mühe, meinen Vortrag über Drama und Roman „Jud Süß“ auf diese Zeit herunter zu kürzen, aber es gelang mir.  Auch sonst überzog eigentlich niemand, außer dem Historiker von der Stadtverwaltung, der über Gustav von Karr referierte, dem Hauptvorbild des Ministers Flaucher in Feuchtwangers Roman „Erfolg“, doch auch er nicht sehr wesentlich, und was er zu sagen hatte, war interessant genug.  Besonders befriedigend war, daß wirklich nach jedem Vortrag Fragen kamen: das Publikum dachte mit und war neugierig. Anschließend stimmten nicht nur wir Vortragenden mit Andreas Heusler überein, daß es für einen Lion-Feuchtwanger-Platz in München wirklich mehr als an der Zeit sei.

(Es gibt bisher nur eine Feuchtwanger-Straße in Milbertshofen, die jedoch ausdrücklich nicht nach L.F., sondern nur nach seiner Familie benannt ist.)

Für mich wird dies nicht die einzige Feuchtwanger-Konferenz dieses Jahr bleiben; im September findet die nächste statt. Doch in Los Angeles wird sie keinen so Feuchtwangerisch-Münchnerischen Abschluß finden können: nämlich im Englischen Garten, wo Marje, Michaela, Regisseur Herbert Krill (der einen Dokumentarfilm über Feuchtwanger gedreht hatte) und ich am Chinesischen Turm auf sein Wohl tranken.

Auch Euch wünsche ich für diesmal alles Gute und bleibe bis zum August

Eure
Tanja